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Interview: Steigende Produktvarianz tut gar nicht weh …

Konstruktion . Produktmanagement

Steigende Produktvarianz tut gar nicht weh, wenn man die Produkte und Prozesse im Griff hat! … und die IT-Systeme


Dr. Sören Lechner ist Geschäftsführer der DLP Engineers GmbH und befasst sich mit der Flexibilität und der Anpassungsfähigkeit der deutschen Einzel- und Auftragsfertiger bei ihren Produkten und Dienstleistungen.

Frage: Woran liegt es, dass die Variantenvielfalt vieler Einzel- und Auftragsfertiger laufend ansteigt?
Dr. Lechner: Die Unternehmen befinden sich oft in einer Art Teufelskreis. Es beginnt mit den Anfragen, die i.d.R. nicht klassifiziert und auch nicht abgelegt und später systematisch ausgewertet werden, d.h. was wollte der Kunde eigentlich? Angebote werden oft mit MS Word oder MS Excel geschrieben, d.h. alte Angebote oder alte Kalkulationen werden kopiert und angepasst; übrigens der größte Risikofaktor überhaupt. Denn ein zweiter Mitarbeiter kann kaum noch dagegen prüfen und nachvollziehen, was im Detail geändert wurde. Im Auftragsfall werden dann die am geeignetsten CAD-Modelle oder –Zeichnungen kopiert und angepasst. Energiesparsame Motoren müssen ausgetauscht werden, aber leider nur in dieser Kopie. Die anderen kommen vielleicht beim nächsten Auftrag dran. Natürlich wird zuerst in dem CAD-Bestand gesucht, den der jeweilige Mitarbeiter von früher her noch am besten kennt. Stücklisten im ERP-System werden kopiert und angepasst, ebenso Arbeitsgänge etc.

 

Teufelskreis

steigende Variantenvielfalt durch Kopieren der Kopie

Frage: Gibt es dafür nicht geeignete Systeme, die dieses verhindern?
Dr. Lechner: Im Prinzip schon, nur spielen diese System nicht immer zusammen oder sie werden nicht konsequent genutzt. So werden Prozess- und Eingangsparameter oder Lastenheftinformationen des Kunden/Interessenten zunächst in einem CRM-System abgelegt; oft ohne Integration zum ERP-System. Dann gibt es vielleicht noch ein CPQ-System oder einen externen Angebotskonfigurator. Dieser übernimmt die Auslegung und Berechnung, die Angebotskalkulation und die Generierung des Angebotes. Leider sind die generierten Inhalte und Ergebnisse (Maschine, Anlage etc.) oft nur textlich beschrieben (Stichwort Vertriebsartikel) und nicht strukturiert und über Merkmale und Werte sauber klassifiziert, sodass ein späterer Bezug zum harten ERP-Artikel- oder Materialstamm hergestellt werden kann.

Im Auftragsfall erfasst der Vertrieb den Auftrag im ERP-System, nicht selten ohne saubere Integration zum Angebotskonfigurator. Die Übergabe der Auftragsdaten an die Konstruktion bei Auftragseingang erfolgt i.d.R. über Texte, Prosa und kaum diskret bzw. abgestimmt mit der Baustruktur im ERP. Die Konstruktion kopiert und generiert CAD-Modelle, Zeichnungen und die Konstruktionsstückliste. Auch hier sind die wenigsten PDM-System sauber an die ERP-Welt gekoppelt oder es wird noch auf einem Filesystem gearbeitet. Es folgt der Einkauf und die AV/Produktion. Die Produktionsstückliste wird oft händisch kopiert und abgeändert. Die nachträgliche Pflege der As-Built-Struktur entfällt ebenfalls in den meisten Fällen. D.h. die Systeme sind nicht immer schuld, es mangelt nur an der Durchgängigkeit, an den Konzepten und der Konsequenz im Tagesgeschäft!

Prozesse

Zusammenspiel Produkte, Prozesse und IT-Systeme

Frage: Wie kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus?
Dr. Lechner: Beim Produkt anfangen, nicht bei den Prozessen und den IT-Systemen. Diese haben sich an dem Produkt auszurichten. Produkte sind oft eine schwarze Kiste. Außer dem Marketing-Prospekt gibt es i.d.R. wenig schriftliche Unterlagen zum Produktportfolio, zu den Anwendungsfällen im Markt, den Einsatzgebieten, der externen oder internen Produktvarianz etc. D.h. im ersten Schritt sind die Anwendungssicht, die Funktionssicht und die Baustruktur im Detail zu beschreiben. Von grob nach fein. Erst einmal Klötzchen malen, Top down.

Danach wird die Logik zwischen den Sichten herausarbeitet und dokumentiert. Danach die Rolle und die Integration der Systeme festgelegt. Was macht CPQ, was geht an CAD/PDM, was direkt an das ERP-System? Wie sieht die Klassifikation aus? Zum Konfigurieren oder auch zum Finden? Welche Klassen, Merkmale und Werte werden benötigt, wo werden sie gepflegt, wohin repliziert? Erst wenn diese Produkt-, Prozess- und Systemarchitektur abteilungsübergreifend steht und sauber gelebt wird, erst dann hat ein Unternehmen die Chance, das Thema Variantenvielfalt proaktiv und nachhaltig in den Griff zu bekommen.

 

Produkte

Modularisieren, Strukturieren, Konfigurieren

Frage: Liegt es evtl. an den handelnden Personen?
Dr. Lechner: Es gibt Kaufleute und Techniker, Betriebswirte und Ingenieure. Und dazwischen gibt es noch Informatiker und Softwarespezialisten. Alle sprechen eine unterschiedliche Sprache und kommen aus unterschiedlichen Denkwelten; und leben auch in diesen Welten.

Die einen denken in Ihrer CAD-Welt in Vektoren und Zahlen, in Modellen, Zeichnungen, Fertigungsdaten etc. Die anderen denken in ihrer ERP-Welt in Buchstaben und Zahlen, in Umsätzen und Deckungsbeiträgen, in Artikeln, in Lagerbeständen etc. Die CAD-Fraktion möchte gerne alles im CAD-System lösen, nur das tut oft weh. Im CAD ist die Änderung schnell gemacht, nur die Folgekosten sieht der Ingenieur nicht immer. Schon das Denken in Teilen oder Artikeln ist ihm fremd. Die ERP-Fraktion dagegen versucht, alles über Artikel und Stücklisten zu lösen. Nur kennt der Einbauraum des Kunden oder die Toleranz an der Drehmaschine keinen Artikel.

Natürlich würde es Sinn machen, nur Lego zu verkaufen, d.h. Stücklistenstrukturen mit abgeschlossenen Zeichnungsinhalten auf der ERP-Seite zu konfigurieren. Da der Einzel- und Auftragsfertiger aber gerade hier seine Stärken hat, muss er sowohl links im CAD als auch rechts in der ERP-Auftragsstückliste flexibel sein. Und genau dort liegt die Herausforderung, mit geeigneten Lösungsansätzen in Richtung Baukastensystematik, Modularisierung, Angebotskonfiguration oder CAD-ERP-Kopplung incl. einer geeigneten Klassifikation zu helfen und zu optimieren.

 

Produkte

grafische versus alphanumerische Konfiguration

Frage: Sie erwähnten öfter das Thema Konfiguration? Gilt das auch für Einzel- und Auftragsfertiger?
Dr. Lechner: Ja, natürlich. Man muss bei Konfiguration oder auch bei Automatisierung nur differenzieren. Natürlich kann man Komponenten eines Zementwerks wie z.B. Mühlen auslegen, berechnen und Angebote daraus generieren oder konfigurieren. Bei Fahrzeugbauern haben wir sowohl die CAD- als auch die Stücklistenkonfiguration im ERP-System erfolgreich realisiert. Kraftwerkskomponenten lassen sich hervorragend im 3D-CAD konfigurieren und darüber die Massen für den Einkauf generieren (Stichwort Verkürzung der Shopping Time).

Bei Klimageräteherstellern haben wir ebenfalls Angebots-, CAD- und Stücklistenkonfiguration im ERP-System realisiert. Gleiches gilt für Abfüllanlagen, Regelventile, Antriebe oder Pumpen. Und genau deshalb stehen das Produkt und seine Varianz im Vordergrund. Daran haben sich die Prozesse und die IT-Systeme auszurichten und nicht umgekehrt! Erst wenn man das Produkt und das Anpassungserfordernis im Auftragsfall genau verstanden hat, erst dann kann man die Rolle der einzelnen IT-Systeme und ihr Zusammenspiel prozessgerecht ausrichten oder gezielt optimieren.

Frage: Ist Konfiguration und Automatisierung überall möglich?
Dr. Lechner: Ja, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten

Frage: Was ist zu tun?
Dr. Lechner: Produkte sind geeignet zu strukturieren, zu klassifizieren und zu konfigurieren. Dieses prozessgerecht, d.h. vor dem Hintergrund Kundenwunsch (was will der Kunde eigentlich?), Vertriebsprozess, Entwicklungs-/Abwicklungsprozess bis hin zum Service.

Interview mit Dr. Sören Lechner vom 09.12.2016

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