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Chinas Neue Seidenstraße

Management . Strategie

Chinas Neue Seidenstraße –
Chancen und Risiken für deutsche Unternehmen

(hier geht’s zum Video »)

Mit einem Gesamtbudget von 900 Milliarden USD und einer Laufzeit bis zum Jahr 2040 gilt die Neue Seidenstraße als das größte Infrastruktur- und Wirtschaftsprojekt der Menschheitsgeschichte. Das gigantische Programm ist unter den Bezeichnungen New Silk Road (NSR), One Belt – One Road (OBOR), Belt & Road Initiative (BRI) sowie Yi Dai Yi Lu (一带一路) bekannt. Es gliedert sich in den Landweg Silk Road Economic Belt (SREB) mit sechs Korridoren und den Seeweg Maritime Silk Road (MSR).

Die Neue Seidenstraße wird Europa, Asien und Afrika enger verbinden und neue Wirtschafts- und Freihandelsräume entstehen lassen. Finanziert wird das Mammutprojekt wesentlich durch die Volksrepublik China, den Silk Road Fund (Startbudget 40 Milliarden USD), den erleichterten Börsenzugang für OBOR-Unternehmen und die Asiatische Infrastruktur Investment Bank (AIIB), die von China dominiert wird.

Insgesamt sind 68 Staaten mit rund 4,4 Milliarden Menschen direkt an dem Projekt beteiligt oder indirekt davon betroffen, darunter auch politisch instabile und stark risikobehaftete Länder wie Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und Iran. In Europa zielt das Projekt Neue Seidenstraße wesentlich auf elf osteuropäische Staaten und fünf Balkanstaaten, die im Rahmen der 16+1-Initiative von China umworben und bevorzugt bedient werden. Dabei geht es nicht nur um Investitionen, Verkehr und Finanzen, sondern auch um Wissenschaft, Bildung und Kultur.

Für europäische Unternehmen birgt die Initiative Neue Seidenstraße sowohl Chancen als auch Risiken. Kurzfristig können sich aus den vielfältigen Projekten für europäische Unternehmen neue Kooperations- und Absatzchancen ergeben, mittel- und langfristig wird das Projekt jedoch zu einer Verschärfung des Wettbewerbs mit chinesischen Unternehmen führen. Für europäische Unternehmen kommt es jetzt darauf an, zuverlässige und relevante Informationen über den chinesischen Wettbewerb und die Absatzmöglichkeiten in OBOR-Projekten zu beschaffen. Im zweiten Schritt geht es darum, die eigene Strategie an die neue Situation anzupassen, Risiken zu reduzieren und Chancen zu nutzen.

China baut an der globalen Zukunft

Grundzüge des Projekts Neue Seidenstraße
Die Initiative Neue Seidenstraße ist sehr komplex und noch nicht abschließend definiert. Deshalb sind in Medien und Publikationen unterschiedliche Darstellungen in Umlauf. Die Grafik des Mercator Institute for China Studies (Merics), des führenden deutschen Instituts für Chinaforschung, gibt aus Sicht von CHINABRAND eine detaillierte und aktuelle Übersicht der Aktivitäten.

Quelle: Merics

Zu den rund 900 OBOR-Projekten gehören wesentlich Infrastrukturmaßnahmen wie Autobahnen, Brücken, Eisenbahnlinien, Häfen, Flughäfen, Kraftwerke, Energienetze, Öl- und Gaspipelines sowie Umweltprojekte. Dazu kommen Aufkäufe wie der Hafen von Piräus, an dem die chinesische Reederei Cosco 51 Prozent hält und der jetzt von chinesischen Handelsaktivitäten dominiert wird.

Ein Teil der Projekte ist bereits fortgeschritten und soll in den Jahren 2018 bis 2020 fertiggestellt werden. Dazu gehört die Brücke von Hongkong nach Zhuhai, die ein Projektvolumen von 110 Milliarden RMB hat und mit einer Länge von 55 km die längste Seebrücke der Welt ist. Die Inbetriebnahme ist Mitte 2018 geplant.

Neue Brücke von Hongkong nach Zhuhai

Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen auch der Hochgeschwindigkeitszug in Indonesien und die neue Bahnverbindung von China nach Myanmar fertiggestellt werden, ebenso das Brückenprojekt Padma in Bangladesch. Über die Stahlfachwerkbrücke führt eine einspurige Eisenbahnlinie und eine vierspurige Straße, die den Südwesten von Bangladesch mit der Hauptstadt Dakar verbinden. Das Projekt hat ein Volumen von 1,55 Milliarden USD, Auftragnehmer ist die China Railway Major Bridge Engineering Group.

Bereits 2021 sollen die neuen Bahnverbindungen von China nach Laos und Thailand fertiggestellt sein, im Jahr 2024 folgt die Zugstrecke an der Ostküste von Malaysia. Die in der EU umstrittene innereuropäische, von China finanzierte und gebaute Bahnverbindung von Budapest nach Belgrad soll im Jahr 2025 den Betrieb aufnehmen.

Interessant sind die verschiedenen Geschäftsmodelle der Projekte. Bei der Bahnlinie von China nach Laos steuert die Volksrepublik 70 Prozent der Kosten in Höhe von 50,545 Milliarden RMB bei und Laos 30 Prozent. Der chinesischen Dominanz entsprechend kommen auf der gesamten Linie ausschließlich chinesische Technik-Standards und Ausrüstung zur Anwendung.

Ein anderes Modell kommt beim Wasserkraftwerk Karot in Pakistan zur Anwendung. Karot ist das erste Investitionsprojekt des Silk Road Fund außerhalb Chinas und hat ein Volumen von 1,74 Milliarden USD. Pakistans fünftgrößtes Wasserkraftwerk soll 2020 ans Netz gehen und dann 30 Jahre lang von China betrieben werden. Danach ist die Übertragung an die pakistanische Regierung vorgesehen.

Neben einzelnen Infrastrukturprojekten sieht die Neue Seidenstraße auch komplette Industriekorridore und Innovationscluster vor. So soll die Sky Silk Road die beiden Verkehrsknotenpunkte Zhengzhou und Luxemburg miteinander verbinden. Das primäre Ziel des Großprojektes, das vom Zhongyuan Silk Road Fund (Volumen: 20 Milliarden RMB) unterstützt wird, ist die Entwicklung einer soliden Luftfahrt-Industrie-Kette zwischen China und Europa. In der Nähe von Minsk setzt der neue chinesisch-weißrussische China-Belarus-Industriepark (Projektvolumen: 5,6 Milliarden USD) industrielle Schwerpunkte bei fortschrittliche Datentechnologien, Biomedizin, Feinchemikalien, Logistik und Lagerwirtschaft. Um innovative westliche Unternehmen anzusiedeln, gewährt der Industriepark erhebliche steuerliche Vergünstigungen. China plant, nach der Fertigstellung Produkte zollfrei an die 183 Millionen Menschen auf dem Markt der eurasischen Wirtschaftsunion zu verkaufen.

Die Neue Seidenstraße besteht nicht nur aus Stahl und Beton, sie erschließt auch digitale Räume (Digital Silk Road). So will China 2018 sein eigenes, vom Militär kontrolliertes Satelliten-Navigationssystem BeiDou auf die über 60 Länder entlang der Neuen Seidenstraße ausdehnen und mittelfristig vom amerikanischen GPS-System unabhängig werden. Bis zum Jahr 2020 will China seinen Service, der sich auf 35 Satelliten stützen soll, weltweit anbieten und damit in direkten Wettbewerb mit dem GPS-System treten. Schon jetzt sind 20 Prozent der chinesischen Smartphones mit BeiDou ausgerüstet, außerdem Millionen Fahrräder, Motorräder und Fischkutter. Eine Sub-Industrie, die Bei-Dou-kompatible Produkte wie Chips und Antennen herstellt, hat sich ebenfalls herausgebildet.

Über die Investitionen in BeiDou hinaus will China innerhalb der nächsten drei Jahre 174 Milliarden USD in Projekte zur Verbesserung der Informations-Infrastruktur wie zum Beispiel die Entwicklung von Glasfaserkabeln für High-Speed-Internet investieren. (Smith, Colby: “A digital Silk Road”. In: The Economist, The World in 2018. URL: http://www.theworldin.com/article/14433/edition2018digital-silk-road (abgerufen am 24. Januar 2018))

Welche Ziele verfolgt China?

Hinter dem Projekt Neue Seidenstraße erkennen Experten mehrere Motive:

  • Politisch geht es der Volksrepublik China darum, die Dominanz des Westens zu brechen und selbst eine globale Vormachtstellung einzunehmen. China knüpft damit an seine Tradition als eine der ältesten Hochkulturen der Welt an und fordert seine historische Rolle als Großmacht wieder ein. Mit der Neuen Seidenstraße geht es der Nation um die Wiederherstellung einer hegemonialen Position.
  • Psychologisch leiden die nationalbewussten und patriotischen Chinesen noch immer unter den Demütigungen, die sie im Laufe der Geschichte durch Ausländer hinnehmen mussten. Das Großprojekt Neue Seidenstraße soll dabei helfen, das Selbstbewusstsein der Chinesen zu stärken – getreu dem Motto: „Wir sind wieder wer in der Welt“. Diese Motivation ist nicht zu unterschätzen.
  • Wirtschaftlich ist die Neue Seidenstraße der Versuch der Regierung, das zurückgehende Wachstum im Inland durch massive Investitionen im Ausland zu kompensieren und damit die Stabilität der Gesellschaft sicherzustellen. Die enormen Überinvestitionen – das Resultat der Aufholstrategie der letzten Jahrzehnte – haben zu Marktsättigung und Fehlallokationen geführt. Unproduktive inländische Investitionen resultieren heute in einer niedrigen Kapitalproduktivität und schwachen Renditen. Wachstum kann in China nur noch mit immer mehr Krediten (Schulden) aufrechterhalten werden, aktuell sind drei Krediteinheiten für eine zusätzliche BIP-Einheit erforderlich (2008: 1,5 Krediteinheiten).

10 kritische Prognosen zur Neuen Seidenstraße

  1. Die Nachfrage der Unternehmen und Konsumenten entlang der Neuen Seidenstraße wird auf einem niedrigen Niveau bleiben. Deshalb werden die Investoren nach dem Ausbau der Infrastruktur keinen ausreichenden Return on Investment erwirtschaften.
  2. In den zentralasiatischen Ländern wird es viele uneinbringliche Forderungen geben. Etwa 42 Prozent der Staaten, die von der Neuen Seidenstraße betroffen sind, haben einen schlechten Kreditstatus, was sehr hohe Kreditrisiken mit sich bringt. Die Forderungs-Ausfallrate chinesischer Unternehmen, die im Außenhandel tätig sind, liegt bereits heute bei mehr als 5 Prozent.
  3. Kleine und mittlere Unternehmen haben nur geringe Chancen, an OBOR-Projekten zu partizipieren. Für sie sind die finanziellen, geopolitischen und sicherheitsbezogenen Risiken oft zu groß.
  4. Es wird zahlreiche Investments geben, die wenig sinnvoll sind. Der Grund: Viele Unternehmen engagieren sich nur als Trittbrettfahrer und wollen die Vorteile der Initiative genießen, ohne Pflichten zu übernehmen.
  5. Der chinesischen Regierung zufolge sollen die Projekte der Neuen Seidenstraße in den Zielländern mehr Arbeitsplätze schaffen und die lokalen Arbeitslosenquoten reduzieren. Tatsächlich werden chinesische Unternehmen jedoch die Märkte der Projektländer beherrschen und einheimischen Unternehmen Konkurrenz machen. Dies wird zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den Projektländern führen.
  6. Die Medien haben OBOR in den betroffenen Ländern sehr bekannt gemacht und Kontroversen ausgelöst. In einigen Projektländern wird es zu politischen Spannungen zwischen der Bevölkerung und der Regierung kommen.
  7. Die von China vorangetriebene 16+1-Initiative wird Osteuropa tendenziell vom Westen der Europäischen Union entfernen und damit die weitere europäische Integration erschweren.
  8. In vielen Nachbarstaaten verstärkt die OBOR-Initiative die bereits bestehende Abhängigkeit von China noch mehr. So importiert beispielsweise Vietnam 75 Prozent seiner Rohstoffe aus China, zusätzliche Kooperationen mit chinesischen Unternehmen würden die wirtschaftliche Abhängigkeit steigern. Diese Sorgen haben auch Thailand und Malaysia.
  9. Die Neue Seidenstraße hat negative Einflüsse auf ähnliche oder überlappende Projekte anderer Länder, beispielsweise die Spice Route, die Kooperationsplattform Mausam und die Cotton Route in Indien sowie das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) in Asien. OBOR wird die Schlüsselprojekte anderer Staaten schwächen oder verdrängen.
  10. Die Neue Seidenstraße ist keine wirtschaftliche Initiative, sondern eine geopolitische Strategie der chinesischen Regierung – die Blaupause für eine neue Weltordnung. Die politischen Faktoren spielen eine größere Rolle als die wirtschaftlichen Gesichtspunkte. Dadurch gerät die territoriale Integrität und Souveränität der betroffenen Staaten in Gefahr.

Was können europäische Unternehmen tun?

Für europäische Unternehmen kommt es darauf an, wachsam zu sein und Risiken, die das Projekt Neue Seidenstraße mit sich bringt, rechtzeitig zu erkennen. Darüber hinaus gilt es, die Chancen, die das Projekt bietet, richtig zu nutzen.

Risiken minimieren durch Wettbewerbsanalyse

Das Projekt Neue Seidenstraße bringt Bewegung in den Markt und verschärft den Wettbewerb. Deshalb gewinnt der Ansatz der Competitive Intelligence (CI) an Bedeutung. Competitive Intelligence ist die Basis für tragfähige Wettbewerbsstrategien, mit denen deutsche und europäische Unternehmen der neuen chinesischen Herausforderung angemessen begegnen können. CI bezeichnet die systematische, permanente und legale Sammlung und Auswertung von Informationen über wichtige Wettbewerber, insbesondere über ihre

  • Ziele, Strategien und Taktiken,
  • Stärken und Schwächen,
  • Produkte und Dienstleistungen,
  • Absatzkanäle und Markterfolge sowie
  • Technologien, Innovationen und angemeldete Schutzrechte.

Competitive Intelligence bedeutet die Abwendung von Ad-hoc-Research hin zu einem systematischen Management der Informationsbeschaffung. Der chinesische Wettbewerb wird langfristig beobachtet und analysiert, um seine Leistungen, Kompetenzen und Expansionspläne genau kennenzulernen. Die systematische Beobachtung eröffnet deutschen und europäischen Unternehmen die Möglichkeit, sich gegen aggressiv globalisierende chinesische Konkurrenten abzusichern, die eigenen Marktanteile zu verteidigen oder sogar auszubauen. Competitive Intelligence hilft Unternehmen, ihre Strategien frühzeitig an die sich ändernden Marktbedingungen und Wettbewerbsstrukturen anzupassen. Dank des Informationsvorsprungs kann der Verlust oder die Erosion von Marktanteilen vermieden werden.

Die wichtigsten Methoden der Informationsbeschaffung sind:

  • das Monitoring der relevanten Presse,
  • die gezielte Beschaffung von Informationen aus Organisationen, Verbänden, Banken und Behörden,
  • die Analyse von Produkten des Wettbewerbs,
  • die Nutzung persönlicher Beziehungen und Netzwerke,
  • die Ermittlung von Insider-Informationen,
  • Interviews mit Zulieferern, Händlern oder Mitarbeitern des Wettbewerbers,
  • die Gewinnung von wichtigen Informationsträgern als Mitarbeiter,
  • die Beratung durch Experten sowie
  • die Beobachtung von Bautätigkeiten und Logistik-Aktivitäten.

Moderne CI-Softwaretools, die in chinesischer Sprache bedient werden und auf tagesaktuelle Daten zugreifen können, spielen bei der Wettbewerbsanalyse eine wichtige Rolle. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, einen umfassenden und aktuellen Überblick über die Marktsituation und einzelne Wettbewerber zu erhalten, fundierte Marktprognosen zu erstellen und anhand von Indikatoren zukünftige Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Wichtige Wettbewerbs-Parameter sind das Clipping aller Marktteilnehmer, deren Wettbewerbsprofile, Produkte, Innovationen, Kennzahlen und Klassifikationen der Top-Kunden, Schlüsselfakten und KPI, Soll-Ist-Vergleiche sowie vordefinierte Analysen wie SWOT-, Markt- oder Performance-Analysen. News und aktuelle Branchentrends aus chinesischen Medien ergänzen diese Informationen.

Einige CI-Tools sind der Lage, auf Basis von Keywords alle chinesischen Dokumente in chinesischen Websites, Zeitungen, Zeitschriften sowie den Datenbanken von Weibo und WeChat zu erkennen. Dadurch entsteht ein Radar für Monitoring und Frühwarnung bezüglich Markt, Wettbewerb und Technologie in China. Auf Basis entsprechend konnotierter Begriffe kann zwischen Veröffentlichungen mit negativem und positivem Tenor unterschieden werden. Die Trefferlisten werden dem Nutzer durch eine Alert-Funktion täglich per E-Mail zugesendet. Die Artikel werden manuell selektiert und relevante Beiträge vollständig übersetzt.

Chancen durch Kooperation

Deutsche und europäische Anbieter haben bei der Vergabe von OBOR-Projektaufträgen Chancen, wenn sie in Verbundprojekten mit einem chinesischen Partner kooperieren. Die Volksrepublik China strebt mit ihrem Modell der Drittmarkt-Kooperation eine Form der internationalen Zusammenarbeit an, bei der sich Chinas Produktionskapazitäten mit den Spitzentechnologien der Industrieländer und der Nachfrage von Entwicklungsländern effektiv verbinden. Die entsprechende chinesische Formel lautet „1 + 1 + 1 > 3“. Besonders gefragt sind in China zurzeit Projekte im Bereich der Public-private-Partnership (PPP).

Interessierte Unternehmen sollten eine Kooperationsstrategie verfolgen. Es macht keinen Sinn, die Neue Seidenstraße lediglich als Absatzmarkt für eigene Angebote zu betrachten und Produkte und Dienstleistungen von Europa aus in OBOR-Projekte hinein verkaufen zu wollen. Die Projekte sind fest in chinesischer Hand und werden überwiegend von China finanziert, geplant, gesteuert und kontrolliert. China entscheidet, wer dabei sein darf und wer nicht.

Eine vielversprechende Strategie setzt darauf, passende chinesische Unternehmen aufzuspüren und sie zu befähigen (enablen), sich erfolgreich für Projekte zu bewerben. Unternehmen mit Standardprodukten und -dienstleistungen haben dabei eher geringe Chancen, die Anbieter hochwertiger Komponenten und Leistungen jedoch umso größere. Auch die Hersteller von Spezialprodukten, zum Beispiel Einzelfertiger, haben gute Aussichten, in China Kooperationspartner zu finden.

Interessierte Unternehmen sollten Antworten auf folgende Fragen finden:

  • Welche bestehenden OBOR-Projekte sind für das eigene Unternehmen relevant?
  • Sind weitere interessante Projekte in Planung? Wie ist ihr Status?
  • Wie sehen die rechtlichen Rahmenbedingungen bei diesen Projekten aus?
  • Welche chinesischen Unternehmen, die sich bereits in der OBOR-Initiative engagieren oder sich für Projekte bewerben bzw. bewerben könnten, kommen als Kooperationspartner infrage?
  • Welche Technologien und Produkte besitzen sie, und welche Dienstleistungen können sie anbieten?
  • Wo liegen ihre Stärken und Schwächen?
  • Wie kann das eigene Unternehmen sie durch Technologien, Produkte und Dienstleistungen befähigen, sich erfolgreich für OBOR-Projekte zu bewerben?
  • Schließlich: Gibt es deutsche oder internationale Konsortien, die bei Bewerbungen für OBOR-Projekte als Partner infrage kommen könnten?

Tipps für deutsche Unternehmen

  • Detaillierte Informationen über OBOR-Projekte können bei chinesischen Regierungsstellen, Nichtregierungsorganisationen, privaten Gesellschaften und inoffiziellen Zusammenschlüssen in chinesischer Sprache recherchiert werden.
  • Erschwert wird die Informationsbeschaffung durch die laufende Aktualisierung der Daten. Interessierte Unternehmen müssen das Projektgeschehen ständig beobachten und analysieren, wenn sie keine Chancen verpassen wollen.
  • Die Erfahrung lehrt, dass Informationen in China oft unvollständig oder sogar falsch sind. Deshalb sollten interessierte Unternehmen auf mehrere Quellen zurückgreifen und Daten verifizieren.
    Persönliche Kontakte sind in China unverzichtbar. Unternehmen mit Interesse an OBOR-Projekten sollten deshalb chinesische Muttersprachler, Mitarbeiter mit guten chinesischen Sprachkenntnissen oder externe Experten engagieren. Für die Projektanbahnung sind Reisen nach China notwendig.
  • Bei der Budgetierung sollten Unternehmen sorgfältig kalkulieren. Kosten können aufgrund von Pfuscharbeit, gefälschten Teilen oder minderwertigen Materialien stark steigen. Auch Schwankungen bei den Rohstoffpreisen und Auflagen für den Umweltschutz können Ausgaben in die Höhe treiben. Wer Preise und Margen zu knapp kalkuliert, muss im Verlauf des Projekts mit Verlusten rechnen.
  • In komplexen OBOR-Projekten müssen Verträge professionell gestaltet und im Ausland durchsetzbar sein. Besonders wichtig sind die Regelungen zu Vertragsbruch und Schadensersatz.
  • Die Mitarbeit in OBOR-Projekten erfordert eine sorgfältige Vorbereitung. Dazu gehört die Einschätzung politischer und wirtschaftlicher Risiken, die Analyse rechtlicher Rahmenbedingungen und die Due Diligence von Partnern. Auch die verschärften Compliance-Gesetze der chinesischen Regierung müssen beachtet werden.
  • Für den Fall von Konflikten sollten die beteiligten Unternehmen eine neutrale Schiedsstelle in einem Drittland vereinbaren.
  • In vielen Ländern, die an der Neuen Seidenstraße beteiligt sind, gibt es überdurchschnittlich hohe Risiken für Unternehmen und Mitarbeiter. Das Management muss diese Risiken bewerten und geeignete Versicherungen abschließen.

Due Diligence möglicher Partner

Chinesische Unternehmen bergen nicht selten versteckte Altlasten, zum Beispiel in Form sozialer Verpflichtungen oder nicht zurückgezahlter Schulden. Einige chinesische Unternehmen verheimlichen Sanierungserfordernisse und Haftungsrisiken. Manche sind hochgradig verschuldet und von staatlichen Subventionen abhängig, die jederzeit entzogen werden können. Dabei können auch persönliche Beziehungen (Guanxi) und Korruption eine Rolle spielen. Weitere Problemfelder sind unklare Landnutzungsrechte, verschachtelte und undurchsichtige Eigentums- und Beteiligungsverhältnisse. Nicht selten ist der genehmigte Umfang der Geschäftstätigkeit nebulös oder vorgelegte Zertifikate erweisen sich als Fälschungen. Fast immer fehlen wichtige Unterlagen, die nachträglich erstellt werden müssen.

Die Audits der lokalen chinesischen Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaften helfen bei der Einschätzung chinesischer Unternehmen nur selten weiter, weil sie oft nicht den international anerkannten Standards der Rechnungslegung entsprechen. Selbst Ratings sind in China unzuverlässig, weil die Analysten nicht selten bestochen oder getäuscht werden. So versuchen einige chinesische Unternehmen, durch Geldzahlungen an Mitarbeiter der Rating-Agenturen direkten Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Mithilfe von Scheingeschäften oder Kreditaufnahmen werden Analysten in die Irre geführt: Unternehmen zahlen die Darlehen schon nach wenigen Tagen zurück, um ihre ausgezeichnete Kreditwürdigkeit zu demonstrieren und ein besseres Scoring zu erhalten. Externe chinesische Kredit-Scores sind deshalb für eine tragfähige Einschätzung der Kandidaten nicht geeignet. Westliche Käufer und Investoren kommen nicht darum herum, eigene Ermittlungen und Analysen durchzuführen.

Da bewertungsrelevante harte Fakten in chinesischen Unternehmen oft nicht ausreichend vorliegen und nicht zuverlässig sind, müssen Investoren die Kooperationswürdigkeit wesentlich über das Umfeld und die Geschichte des Unternehmens rekonstruieren. Firmenbewertungen in China bauen deshalb nicht primär auf Aussagen des Managements, sondern auf ermittelte Informationen aus dem Umfeld. Durch die Zusammenschau von Einzelinformationen und die Kumulation von Daten können Widersprüche und Ungereimtheiten meistens schnell aufgedeckt werden.
In China ist es auch üblich, im Rahmen einer Due Diligence die Biografien der Firmeninhaber, Aktienbesitzer und Geschäftsführer zu durchleuchten. Es werden Informationen über schlechte Führung oder Strafen des Unternehmens und seiner Führungskräfte beschafft. Bei Lieferanten, Vertriebspartnern, Investoren und Tochterunternehmen werden die Verbindlichkeiten des zu bewertenden Unternehmens ermittelt.

Eine Rekonstruktion der Unternehmensgeschichte macht klar, wo die Firma heute wirtschaftlich steht. So sollten die letzten drei Jahresabschüsse mit der Entwicklung des Unternehmens korrespondieren. Benchmarks mit Wettbewerbern und Unternehmen vergleichbarer Branchen oder Regionen helfen dabei, die Unternehmensdaten zu validieren. Häufig zeigt das Marktumfeld chinesische Firmen in einem anderen Licht.

Die sorgfältige Due Diligence eines potenziellen Partners kann zwei bis drei Monate dauern – oder länger.

Maßnahmen zur Compliance

Korruption ist in chinesischen Großprojekten keine Seltenheit. Deshalb ist in OBOR-Kooperationen die Durchführung von Compliance-Maßnahmen unerlässlich. Die gesetzlichen Anforderungen für Compliance sind in China sehr viel strenger geworden, die Kontrollen von ausländischen Unternehmen schärfer. Änderungen im chinesischen Strafgesetz sowie im Wettbewerbsrecht, neue administrative Maßnahmen und Kontrollmechanismen zwingen global agierende Unternehmen, ihre Compliance-Programme anzupassen.

Die Veränderungen im Bereich Compliance in China müssen dabei in einer größeren Perspektive betrachtet werden: Die verstärkten Regulierungen gehen Hand in Hand mit Chinas wachsenden globalen Ambitionen und einem neuen Selbstverständnis. Gerade auf dem Gebiet der Compliance wurde die gestrige Welt durch gesetzliche Bestimmungen und extraterritoriale Rechtsverfolgungen, aber auch durch Soft Power der USA dominiert. Die meisten prominenten Fälle von Compliance-Verstößen ausländischer Unternehmen in China wurden nach amerikanischem FCPA (Foreign Corrupt Practices Act) und nicht nach dem chinesischen Gesetz geahndet. Heute geben die Vereinigten Staaten ihre Führungsrolle in mehreren Bereichen der Global Governance ab – Klimaschutz und Anti-Korruption sind nur zwei Beispiele. Gleichzeitig wachsen Chinas Selbstbewusstsein und seine Bereitschaft, eine globale Führungsrolle zu übernehmen.

Zu Beginn der chinesischen Anti-Korruptionskampagne wurden hauptsächlich chinesische Amtsträger in China verfolgt. Heute geraten immer mehr ausländische Unternehmen in den Fokus der chinesischen Korruptionsbekämpfung. Bald wird China über die eigenen Grenzen hinaus gegen Korruption vorgehen, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann chinesische Behörden in einem ersten grenzüberschreitenden Fall gegen ein nicht-chinesisches Unternehmen ermitteln. Gerade entlang der Neuen Seidenstraße werden chinesische Aufsichtsbehörden in den nächsten Jahren viele Möglichkeiten finden, ihren Einfluss international auszubauen. Angesichts der immensen Infrastrukturvorhaben in einigen der korruptesten Ländern der Welt kann dies erhebliche Auswirkungen auf die globale Entwicklung im Bereich der Compliance haben.

Compliance-Verantwortliche weltweit sollten die Entwicklungen in China sehr genau beobachten und Worst-Case-Szenarien durchspielen – vor allem dann, wenn ihr Unternehmen von Projekten entlang der Neuen Seidenstraße profitieren will.

Die Compliance-Programme müssen an die internationalen Entwicklungen angepasst werden. Dabei verzetteln sich die meisten globalen Unternehmen heute nicht in Gifts- & Hospitality-Richtlinien in jeder für sie relevanten Jurisdiktion. Stattdessen setzen sie auf eine firmeneigene Politik der Null-Akzeptanz von Korruption und Bestechung und auf einen internen Leitfaden, der an das Land mit den strengsten gesetzlichen Bestimmungen angepasst ist. Parallel dazu entstehen an den globalen Standorten Compliance-Funktionen, teils in Form eigener Abteilungen oder verteilt auf mehrere Verantwortliche. Entscheidend für den Erfolg sind dabei Fachkompetenz und Ressourcen.

Damit die angepassten oder neu eingeführten Compliance-Systeme nicht nur auf dem Papier bestehen, sollten sie regelmäßig kontrolliert und getestet werden. Die Richtlinien, Trainingsprogramme und internen Leitfäden, die Compliance-Kommunikation, Ermittlungsergebnisse und andere wichtige Prozesse müssen lückenlos dokumentiert und gerichtsfest notarisiert werden. Dabei sollten die Compliance-Manager in der Firmenzentrale asiatische Besonderheiten beachten und lokale Intelligenz nutzen.

Fazit: Große Risiken, begrenzte Chancen

Die Neue Seidenstraße gilt als Blaupause für eine neue Welthandelsordnung. Deutschen und europäischen Unternehmen bringt das Mammutprojekt kurzfristig begrenzte Chancen für neue Geschäfte, es birgt mittel- und langfristig jedoch erhöhte Wettbewerbsrisiken. Besonders die exportorientierten Hersteller sollten die Entwicklung der einzelnen Projekte und der beteiligten chinesischen und internationalen Unternehmen im Rahmen von Competitive Intelligence genau beobachten, um frühzeitig strategisch reagieren zu können. An OBOR-Projekten interessierte Unternehmen sollten eine Kooperationsstrategie verfolgen und chinesische Partner suchen, die sie durch hochwertige deutsche Produkte und Dienstleistungen für eine Bewerbung qualifizieren und befähigen können. Eine Due Diligence und Compliance-Maßnahmen sind dafür unerlässlich.

Weitere Informationen finden Sie hier:
www.chinabrand.de

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