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Interview “Obsoleszenzmanagement”

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Interview mit Patrick Kroiß, EICHLER GmbH

Interview: “Obsoleszenzmanagement”

Patrick Kroiß ist Leiter Life Cycle Management bei der EICHLER GmbH, einem der führenden Reparaturdienstleister von Automatisierungstechnik in Deutschland.

Herr Kroiß, was bedeutet aus Ihrer Sicht ‚Obsoleszenzmanagement‘?

Gemäß der international gültigen IEC Norm 62402 die im vergangenen Jahr im englischen neu erschienen ist, trennt der Begriff Obsoleszenz generell zwischen physischen und nicht physischen Einheiten. Er beschreibt den Übergang von der ‚ Produktionsfähigkeit‘ zu ‚ nicht mehr in Produktion nach originaler Spezifikation des Herstellers‘ physischer Einheiten bzw. von der ‚Verfügbarkeit‘ zur ‚ nicht Verfügbarkeit nach originaler Spezifikation beim Hersteller‘ nicht physischer Einheiten aufgrund externer Einflüsse. In Kürze wird die deutsche Übersetzung der originalen Definition hoffentlich auch bald veröffentlicht werden. Betrachtet man den Bereich der industriellen Fertigung, so ist vor allem die anhaltende Automatisierung und damit verbunden die steigende Anzahl von Bauteil- und Baugruppenabkündigungen, welche durch technologische Fortschritte, Umweltrestriktionen o.ä. hervorgerufen werden, ein wesentlicher Treiber für Obsoleszenz. Während die Betriebsdauer eines Gesamtsystems beispielsweise einer großen Produktionsanlage oder einer Sondermaschine bis zu 30 Jahre beträgt, verfügen einzelne Bestandteile des Systems über deutlich kürzere Lebenszyklen. Am unteren Ende dieser Skala befinden sich Elektronik-Baugruppen, wie HMI-Bediengeräte oder auch SPS-Steuerungen.

Grafik: EICHLER GmbH

Mittlerweile ist es keine Seltenheit mehr, dass bereits nach wenigen Jahren der aktiven Vermarktung die Abkündigung durch den OEM vorgenommen wird. Die Nachfolgeprodukte sind in den wenigsten Fällen vollständig abwärtskompatibel gestaltet, sodass umfangreiche und kostenintensive Migrationsaufwendungen die Folge sind. Auch Einzelfertiger und Sondermaschinenbauer stehen vor großen Herausforderungen, wenn Serviceleistungen und Ersatzteilverfügbarkeit durch den Hersteller nur noch eingeschränkt bzw. gar nicht mehr verfügbar sind. Obsoleszenzmanagement hat somit das Ziel die Handlungsfähigkeit sicher zu stellen, in dem situativ reaktive, proaktive und strategische Maßnahmen angewendet und/oder kombiniert werden. So gesehen sind auch wir als Reparaturdienstleister ein Bestandteil des Obsoleszenzmanagements unserer Kunden.

Wie wichtig wird ein gutes Obsoleszenzmanagement in den kommenden fünf Jahren?

Aus meiner Sicht wird Obsoleszenzmanagement zu einem entscheidenden Faktor für den Erhalt der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit, auch für Einzelfertiger. Dies gilt umso mehr unter den aktuellen Umständen. Wer im Aftersale einen herausragenden Kundenservice bieten kann, hat einen handfesten Wettbewerbsvorteil. Ungeplante Stillstandzeiten müssen in einer automatisierten Fertigung so kurz wie möglich gehalten werden. Zur Verdeutlichung: Nicht nur einen Automobilhersteller kostet wenige Minuten Stillstand am Ende des Tages fertige Autos, auch im Sondermaschinenbau schlummert enormes Potenzial.

Aus technischer Sicht betrachtet beträgt die durchschnittliche Maschinenauslastung in den meisten Betrieben über alle Branchen gesehen ca. 80%. Die Effizienz in diesen Bereichen weiter zu steigern ist in gewissen Branchen bereits jetzt enorm schwierig. Die Lösung in diesem Fall wird ein funktionales Obsoleszenzmanagement sein um Stillstandzeiten zu verkürzen und damit Produktionsausfällen zuvor kommen.

Aktuelle Megatrends, wie Industrie 4.0 oder das industrielle Internet der Dinge beschleunigen die Digitalisierung der Produktion und den Einsatz von Automatisierungstechnik noch einmal enorm. Es wird darauf ankommen mit gezielten Ansätzen und Maßnahmen der steigenden Diversität an eingesetzten Systemen und Technologiegenerationen Herr zu werden, um die Anlagenverfügbarkeit aufrecht zu erhalten. Deswegen sollten auch Einzelfertiger im Ersatzteilbereich über ein funktionales Obsoleszenzmanagement verfügen, das bereichsübergreifend fest im Unternehmen verankert ist und auch externe Partner und Dienstleister einbezieht.

Was sollten Einzelfertiger beachten, um die Maschinen Ihrer Kunden am Laufen zu halten?

Ziel sollte es sein einen nachhaltigen Aftersale-Service bieten zu können. Für die Maschinenbetreiber und Instandhalter geht es im Wesentlichen darum, die Anlagenverfügbarkeit bis zum Ende der geplanten Betriebsdauer sicherzustellen. Einzelfertiger, die dem Kunden bei einem Defekt mit entsprechenden Ersatzteilen oder Reparaturleistungen versorgen können, verbessern die Kundenbeziehung nachhaltig.

Kompliziert wird es jedoch, wenn externe Faktoren, wie Obsoleszenz und damit einhergehend die sinkende Ersatzteilverfügbarkeit am Markt hinzukommen. Auch die aktuelle Corona Situation ist ein gutes Beispiel. Die Unterbrechung der internationalen Lieferketten wirkt sich unmittelbar auf die Ersatzteilbeschaffung im Elektronikbereich aus. Mit proaktiven Maßnahmen aus dem Obsoleszenzmanagement, einer vorausschauenden Ersatzteilplanung mit lokalen Lager- und Bezugsquellen können Einzelfertiger derartigen Risiken wirkungsvoll entgegenwirken und die Service-Fähigkeit auf Kundenseite aufrecht erhalten.

Patrick Kroiß, Leiter Life Cycle Management bei der EICHLER GmbH

Sollten Einzelfertiger zur Absicherung ein eigenes Ersatzteillager unterhalten?

Besonders für Einzelfertiger dürfte das in der Praxis aufgrund der Diversität der Ersatzteile und der geringen Stückzahl nur schwer oder äußerst kostspielig durchzuführen sein. Es ist ja nicht mit der reinen Beschaffung und Lagerung getan. Gerade die Lagerung elektronischer Bauteile stellt spezifische Anforderungen an die Lagerumgebung. Zusätzlich sind in regelmäßigen Abständen Refreshmaßnahmen zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit nötig, die allzu oft nicht vorgenommen werden. Das kann zu großen Beeinträchtigungen führen, wenn diese gelagerten Bauteile vom Kunden wieder in Betrieb genommen werden.

Beispielsweise sollten Kondensatoren spannungsfrei gelagerter Umrichter regelmäßig formiert werden, da sonst das Anlegen der vollen Betriebsspannung zum Platzen der Kondensatoren führen kann. Schlimmstenfalls kommt es zu Kollateralschäden an umliegenden Bauteilen, die Ausmaß und Dauer des Problems beim Kunden vergrößern. Daher empfiehlt es sich eine grundlegende Versorgungsstrategie zu etablieren, welche auch bauteilspezifische Refresh- und Reparatur- und Lageranforderungen einschließt. Die im Mai 2018 erschienene VDI-Richtlinie 2882 Obsoleszenzmanagement liefert hier praxisbezogene Impulse.

Auf was ist bei der Ersatzteilbeschaffung nach Obsoleszenz zu achten?

Werden Ersatzteile beschafft kommt es speziell bei obsoleten Baugruppen ganz besonders darauf an, dass die Funktionsfähigkeit und Qualität gesichert ist. Wie bereits beschrieben müssen ggfs. vor bzw. bei der Lagerung zusätzliche Reparatur- und Refreshmaßnahmen durchgeführt werden. Sofern Unternehmen nicht über entsprechende Kenntnisse oder die zugehörige technische Ausrüstung verfügen, sollten Bezugskanäle auf dem Sekundärmarkt, wie eBay, extrem kritisch beäugt werden. Hier hat im Verlauf der letzten Jahre der Handel mit Plagiaten drastisch zugenommen. In diesem Fall sollte man lieber auf spezialisierte Dienstleister bei der Beschaffung zurückgreifen. Diese können die Funktionsfähigkeit durch Testläufe mit moderner Prüftechnik belegen und bieten darüber hinaus zusätzliche Leistungen, wie verlängerte Garantiezeiträume, zusätzliche Refreshmaßnahmen oder ein vollständiges Lagermanagement an.

Wo und wie organisieren Sie Ersatzteile für betagtere Maschinen und Komponenten?

Unser Leistungsspektrum umfasst die Reparatur und den Vertrieb von aktueller sowie abgekündigter Automatisierungstechnik für mehr als 250 Hersteller. Eine eigenständige Fachabteilung beschäftigt sich mit der Sammlung, Pflege und Auswertung von Abkündigungs- und Änderungsmeldungen (PDNs und PCNs). Verzahnte digitale Prozesse sowie ein internationales Beschaffungsnetzwerk ermöglichen es uns, bereits frühzeitig auf Hersteller- bzw. Marktveränderungen reagieren zu können und unsere Beschaffungsplanung entsprechend anzupassen.

So können auch längst abgekündigte Bauteile bei Bedarf beschafft werden. Die fachgerechte Aufbereitung und Lagerung findet direkt im Elektronik-Service-Center in Pürgen statt. Mit über 80.000 unterschiedlichen Baugruppen betreiben wir eines der größten Läger in diesem Bereich. Bei der fachgerechten Langzeitlagerung von Elektronikbaugruppen kommt es auf viele Faktoren an, wie die richtige Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder eine spezielle, konservierende Verpackung. Das können nicht viele Betriebe selbst stemmen, deshalb bieten wir unseren Kunden diesen Service mittlerweile als eigenständige Dienstleistung im Rahmen des Lagermanagements an.

Wie ist der Ablauf bei einem ausgelagerten Lagermanagement?

Hier können wir alles aus einer Hand anbieten. Von der Beschaffung über die Lagerung bis hin zu den nötigen zyklischen Refreshmaßnahmen. Der Kunde greift im Bedarfsfall stets auf funktionsfähige Baugruppen mit Garantie und Gewährleistung zurück. Das Angebot wird sehr gut angenommen. Beispielsweise nutzen Maschinenbauer die Möglichkeit, flexibel ganze Serien obsoleter Ersatzteile einzulagern und sichern so den Kundenservice für im Feld befindliche Maschinen ab. Es befinden sich aber auch etliche Kunden darunter, bei denen geht es um Losgröße 1. In diesem Fall handelt es sich meist um Ersatzteile, die schwer, bis gar nicht mehr am Markt zu beschaffen sind, oder eine sehr hohe Systemrelevanz besitzen. Das kann beispielsweise ein leistungsstarker Großumrichter sein oder aber auch ein HMI Touch Panel.
Die Vorteile liegen dabei auf der Hand. Fixkosten für Lagerplatz –umgebung und –verwaltung entfallen vollständig. Bei Bedarf lassen sich Lagerdauer und –menge für jedes Ersatzteil flexibel skalieren. Wie bereits erwähnt werden neben der fachgerechten Lagerung auch alle technischen Notwendigkeiten, wie die zyklischen Refresh- und Prüfmaßnahmen durchgeführt. Der Kunde hat die Sicherheit immer auf ein funktionsfähiges Ersatzteil zurückgreifen zu können. Diese Leistung erbringen wir sowohl für Ersatzteile in der Losgröße 1 bis zum großen Serienbedarf.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über die EICHLER GmbH

Die EICHLER GmbH ist Deutschlands führendes Elektronik-Service-Center mit dem Schwerpunkt Industrieelektronik.
Seit mehr als 40 Jahren verfügt die EICHLER GmbH über einzigartiges Wissen und Erfahrung bei der Reparatur von Komponenten der Automatisierungstechnik aus den Bereichen HMI, Steuerungen sowie Antriebstechnik und Robotik. Die Reparaturen erfolgen auf Bauteilebene mit Hilfe modernster Analyse- und Reparatur-Tools.
Das Dienstleistungsangebot umfasst neben Reparaturen auch den An- und Verkauf von Gebrauchtgeräten sowie ein komplettes Life Cycle und Lagermanagement. Darüber hinaus bietet die EICHLER GmbH Kunden über das hauseigene Seminarwesen ein breites Weiterbildungsangebot.
Die Unternehmensentwicklung ist von einem stetigen und nachhaltigen Wachstum geprägt. Am Standort in Pürgen-Lengenfeld arbeiten mehr als 230 Mitarbeiter und Auszubildende.

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